Max-Planck-Institut für Polymerforschung, Mainz
Professor für Theoretische Physik, Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz
Von fleischlichen und veganen Würsten – eine Physikersicht
Kommt ein Physiker in eine Metzgerei und blickt staunend in die Auslage: Würste vom Schwein, Kalb, Geflügel, Brüh-, Koch-, Streichwürste, aus Fleisch, Fett, Innereien, Wasser, aus Erbsen-, Soja- und Lupinenproteinen. Er stellt sich die Frage: Kann man solche komplexen „Materialien“ überhaupt verstehen? Er kauft ein Sortiment, bringt es ins Labor und geht den physikalischen Eigenschaften der schmackhaft weichen Materie auf den Grund. Auf der Suche nach universellen Zusammenhängen, die ihm Sensorik, orales Prozessieren im Mund, Bruchverhalten, Rheologie, Mikroskopie, Kalorimetrie und Tribologie vorschlagen, fällt es Physikern wie Schuppen von den Augen: die komplexe Welt der Lebensmittel ist dominiert von multiskaliger, prozessabhängiger Nichtgleichgewichtphysik, erzwungenen Strukturen, von konkurrierenden Wechselwirkungen und hierarchischen Längenskalen. Dabei wird rasch klar, warum die Großväter der Metzger früher „bessere“ Würste fertigen konnten und was vegetarischen und veganen „Ersatzprodukten“ oft fehlt: wohldosiertes molekulares Feintuning auf Nanoskalen, denn dort wird weit mehr über kulinarische Akzeptanz oder Ablehnung entschieden, als man gemeinhin glaubt.
Der Vortrag entführt damit in die Physik der Proteine und Fette sowie in die Eigenschaften von elastischen und plastischen Emulsionen – und somit in das spannende Gebiet der Physik von „essbarer weicher Materie“. Ganz nebenbei klären die physikalischen gewonnenen Einsichten manch grundsätzliche und kontrovers (und ideologisch) diskutierte Fragen der „Ernährung“.
Zur Person
Prof. Dr. Thomas A. Vilgis diplomierte und promovierte in Physik in Ulm, habilitierte in Mainz in Theoretischer Physik und arbeitete in Cambridge, London und Strasbourg. Er ist Professor an der Universität Mainz. Am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz leitet Vilgis eine Arbeitsgruppe zur statistischen Physik weicher Materie sowie eine experimentelle Gruppe zur „soft matter food science“. Vilgis publizierte über 300 wissenschaftliche Arbeiten in der Fachliteratur zur Physik der weichen Materie und zur molekularen Lebensmittelphysik. Er ist Herausgeber der Zeitschrift „Journal Culinaire – Kultur und Wissenschaft des Essens“, Autor zahlreicher Bücher zur Naturwissenschaft des Kochens und der Physik und Chemie der Lebensmittel. Das Werk „Aroma – die Kunst des Würzens“ wurde mit der „Goldenen Feder“ der Gastronomischen Akademie Deutschlands ausgezeichnet.