Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Oberflächenchemie, Potsdam
Impfstoffe aus Zucker
Zuckermoleküle bedecken alle Zellen des menschlichen Körpers und spielen eine wesentliche Rolle bei der molekularen Erkennung von Zelloberflächen und damit bei Infektionen, Immunreaktionen und Krebsmetastasen. Somit können komplexe Zucker auch für die Impfstoffentwicklung dienen. Bis vor kurzem fehlte allerdings eine schnelle chemische Synthesemethode, um klar definierte Zuckermoleküle in größeren Mengen herzustellen und sie damit für die biologische, pharmazeutische und medizinische Forschung einzusetzen. Mit den ersten Syntheseautomaten können nun langkettige Zucker hergestellt werden. Mit der automatisierten Kohlenhydratsynthese wurden die Voraussetzungen für die Weiter- und Neuentwicklung von zuckerbasierten Medikamenten und Impfstoffen geschaffen.
Aktuell forschen Peter Seeberger und sein Team am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung an verschiedenen synthetisch hergestellten Mehrfachzuckern. Für diagnostische Anwendungen bringen die Forscher mit einem Tintenstrahldrucker kleinste Mengen der synthetisch hergestellten Moleküle auf eine Oberfläche auf. Wenige Mikroliter Blut werden für einige Minuten mit dem Chip in Kontakt gebracht. Nach kurzem Abwaschen der Probe lassen sich die in ihr enthaltenen Antikörper, die teilweise auf den Zucker-Chips kleben geblieben sind, mit speziellen Farbstoffen erkennen. Diese Methode erlaubt es, Tausende menschlicher Seren zu untersuchen und Antikörper zu erhalten.
Ein Syntheseautomat erlaubt mittlerweile die Herstellung eines Mehrfachzuckers in Stunden an Stelle von Wochen, indem chemisch hergestellte Zucker die aus Bakterienkulturen isolierten Polysaccharide ersetzen. Welche Chance bietet diese Technik auch zum Beispiel in Hinsicht auf die Zunahme von antibiotikaresistenten bakteriellen Krankheitserregern?!
Zur Person
Peter H. Seeberger (geb. 1966) studierte Chemie an der Universität Erlangen-Nürnberg und promovierte in Biochemie an der University of Colorado.
Nach einem Postdocaufenthalt am Sloan-Kettering Institute for Cancer Research in New York City wurde er 1998 Assistant Professor und 2002 Firmenich Associate Professor of Chemistry am MIT in Cambridge, USA. Von 2003 bis 2008 war er Professor an der ETH Zürich. Seit 2009 ist Peter H. Seeberger Direktor am Max-Planck Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam sowie Professor für Organische Chemie an der Freien Universität Berlin. Ferner ist Prof. Seeberger seit 2003 Affiliate Professor am Burnham Institute in LA Jolla, USA. Seine Arbeitsgruppe forscht im Grenzgebiet von Chemie und Biologie. Neben Untersuchungen zu neuen Techniken in der Synthese (u.a. Mikroreaktoren), neuen Synthesemethoden, der Totalsynthese biologisch aktiver Verbindungen, stehen biologische Arbeiten zur Aufschlüsselung von Signalübertragung, Immunologie und die Entwicklung von Impfstoffen im Vordergrund. Ein Malariaimpfstoffkandidat aus seinem Labor steht nun kurz vor der klinischen Entwicklung.
Professor Seebergers Forschung ist in über 190 wissenschaftlichen Artikeln, zwei Büchern, 15 Patenten und in über 370 eingeladenen Vorträgen dokumentiert. Unter anderem wurde das Seeberger-Labor mit folgenden Preisen ausgezeichnet: Arthur C. Cope Young Scholar and Horace B. Isbell Awards von der American Chemical Society (2003) und der Otto-Klung Weberbank Preis für Chemie (2004). 2007 erhielt Prof. Seeberger die Havinga Medaille, die Yoshimasa Hirata Gold Medaille und den mit 750.000 Euro dotierten Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft. Sowohl 2007 und 2008 wurde Professor Seeberger von der Schweizer Illustrierten zu den “100 wichtigsten Schweizern“ gewählt. Zudem erhielt er 2008 den UCB-Ehrlich Preis für Exzellenz in der Medizinalchemie sowie den Karl-Heinz Beckurts Preis. Ferner wurde ihm 2009 der Claude S. Hudson Award für Kohlenhydratchemie von der American Chemical Society überreicht.
Peter H. Seeberger ist der Chefredakteur des Beilstein Journal of Organic Chemistry und gehört dem Beirat zwölf wissenschaftlicher Journale an. Er ist ein Gründungsmitglied des Stiftungsrats der Tesfa-Ilg Stiftung “Hoffnung für Afrika”, die sich um verbesserte Gesundheitsvorsorge in Afrika bemüht. Professor Seeberger ist ein Berater für mehrere Firmen und gehört dem wissenschaftlichen Beirat mehrerer Unternehmen an. Er war Jahrespräsident der Schweizer Akademie der Naturwissenschaften im Jahr 2006.
Die Forschung im Seeberger-Labor führte zur Gründung von zwei Unternehmen: Ancora Pharmaceuticals (gegründet 2002, Medford, USA) entwickelt derzeit verschiedene Impfstoffkandidaten, während i2chem Mikroreaktors für chemische Anwendungen kommerzialisiert.