Nobelpreisträgerin für Medizin 1995
Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen
Die Streifen des Zebrafisches: Wozu und wie entsteht Schönheit bei Tieren?
Wir finden Farben, Muster und Gesänge von Tieren schön, so wie wir Kunstwerke, Bilder und Musik schön finden. Die Kunstprodukte sind vom Menschen für Menschen gemacht, aber wie steht es mit den Ornamenten und Lauten der Tiere? Wie kommen diese wunderschönen Naturprodukte zustande?
Besonders wichtig sind Farbmuster für die Erkennung von Artgenossen und als Auslöser von angeborenen Instinkthandlungen, die bei der Kommunikation, bei Schwarmbildung, Revierabgrenzung und Sexualverhalten eine große Rolle spielen. Nicht nur ihre Schönheit für den Menschen, sondern die vielfältige Bedeutung von Farben und Mustern ist ausreichender Grund, ihren Aufbau, ihre Entstehung in der Entwicklung und ihre Evolution zu erforschen.
Wir untersuchen die Bildung von Farbmustern bei Fischen, genauer beim Zebrafisch Danio rerio. Dieser hat sich in den vergangenen 30 Jahren als hervorragendes Wirbeltier-Modellsystem der biomedizinischen Forschung etabliert. Die wichtigsten Eigenschaften: er entwickelt sich in durchsichtigen Eiern, die Larve ist auch durchsichtig, dadurch lassen sich viele Prozesse sehr einfach im lebenden Tier, in vivo, verfolgen. Er ist relativ leicht molekulargenetisch manipulierbar, und Mutanten erlauben, Proteine zu identifizieren, die spezifischen biologischen Prozessen zu Grunde liegen. Für unsere Fragestellung ist sein schönes regelmäßiges Farbmuster wichtig, das aus vier dunklen und vier hellen Streifen zusammengesetzt ist. Die Streifen entstehen bei beiden Geschlechtern, sie sind wohl für die Arterkennung bei der Schwarmbildung relevant. Bei der Balz sind die männlichen Fische intensiv gelb gefärbt, das ist “sexual attraction”.
Woher kommen die Pigmentzellen? Wie besiedeln sie die Haut? Wie entsteht das Muster? Welche Gene sind bei der Evolution beteiligt? Auf die Beantwortung dieser Fragen hat sich mein Labor in den vergangenen Jahren fokussiert, wobei eine Reihe von modernen Verfahren der Fluoreszenzmikroskopie und der Gentechnik, besonders die neue CRISPR/Cas Methode des Gene-editings entscheidende Fortschritte im Verständnis ermöglicht haben.
Zur Person
Christiane Nüsslein-Volhard ist eine deutsche Genetikerin, die zusammen mit den Amerikanern Eric Wieschaus und Edward Lewis den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für ihre Entdeckungen zur genetischen Steuerung der frühen Embryonalentwicklung erhielt. Anhand der Fruchtfliege Drosophila melanogaster identifizierten Nüsslein-Volhard und Wieschaus die Gene, die für die Bestimmung des Körperbaus und die Bildung der Körpersegmente wichtig sind. Gene, die homolog zu denen der Fruchtfliege sind, steuern auch die menschliche Entwicklung.
Nüsslein-Volhard wurde 1942 als zweites von fünf Kindern in Magdeburg geboren und wuchs in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit in Frankfurt auf. Schon mit 12 Jahren wusste Nüsslein-Volhard, dass sie Biologin werden wollte und war eine eifrige, wenn auch unstete Schülerin. Nach einem einmonatigen Praktikum als Krankenschwester in einem Krankenhaus bestätigte sich ihr Verdacht, dass nicht die Medizin, sondern die Forschung das Richtige für sie ist, und sie studierte Biologie an der Universität Frankfurt. 1964 wechselte sie nach Tübingen, um Biochemie und im letzten Studienjahr Mikrobiologie und Genetik zu studieren.
Für ihre Diplomarbeit am Max-Planck-Institut für Virusforschung in Tübingen führte sie molekularbiologische Untersuchungen zur bakteriellen Transkription durch, interessierte sich dann aber zum Ende ihrer Diplomarbeit 1973 für Entwicklungsbiologie und Genetik. Sie entschied sich für Drosophila als geeignetes Thema für ein Postdoc-Projekt zur Entwicklungsgenetik und kam 1975 in das Labor von Walter Gehring in Basel.
Von 1978-80 teilte sie sich ein Labor mit Eric Wieschaus am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg. 1981 kehrte sie nach Tübingen zurück, wo sie 1985 Direktorin des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie wurde. Ihre Arbeitsgruppe entdeckte mehrere morphogenetische Gradienten im Drosophila-Embryo. In den 1990er Jahren führte sie systematische genetische Studien zur Embryonalentwicklung des Zebrafisches durch, der sich als herausragender Wirbeltier-Modellorganismus für die biomedizinische Forschung erwies.
Christiane Nüsslein-Volhard hat etwa 200 Originalarbeiten und mehrere Bücher veröffentlicht. Sie erhielt eine Reihe von Auszeichnungen und Ehrungen, darunter 1986 den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis – die höchste Auszeichnung in der deutschen Forschung, 1991 den Lasker Award (USA) und 1995 den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie.
Im Jahr 2004 gründete Christiane Nüsslein-Volhard die CNV-Stiftung zur Förderung von Frauen mit Kindern in der Wissenschaft.