Nobelpreisträger für Medizin oder Physiologie 1991
Direktor Emeritus am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen
Ionenkanäle: Ihre Entdeckung und ihre Rolle in Physiologie, Pharmakologie und Pathophysiologie
Die Neuronen unseres Gehirns sind bevorzugte Angriffspunkte von Medikamenten. Insbesondere Oberflächenrezeptoren dieser Zellen und Ionenkanäle, welche den Ionentransport über die Zellmembran vermitteln, erfüllen wichtige Aufgaben in der Regulation der Zellfunktion. Relativ wenige Moleküle eines Wirkstoffes, der an diesen Strukturen ansetzt, können daher große pharmakologische Wirkung entfalten.
Die Untersuchung von Transport-relevanten Molekülen und ihrer Wirkmechanismen hat einen enormen Aufschwung genommen, nachdem in unserer Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit Bert Sakmann die ‚Patch-Clamp’-Methode entwickelt wurde. Diese Methode erlaubte es, die Strombeiträge einzelner Ionenkanäle in der elektrischen Messung aufzulösen und ganz allgemein Transportprozesse mit sehr viel höherer Genauigkeit zu studieren. Die Methode hat damit nicht nur das ‚Ionenkanalkonzept’ als Grundlage elektrische Erregbarkeit von Nerv -und Muskelzelle bewiesen, sondern die gesteigerte Messgenauigkeit zeigte auch auf, dass in nahezu allen Körperzellen verschiedenste Typen von Ionenkanälen eine Vielzahl diverser Aufgaben erfüllen. Es stellte sich heraus, dass
- Ionenkanäle Angriffspunkte für viele Medikamente sind, sowohl im positiven Sinn, als auch als Mediatoren von Nebenwirkungen,
- mutierte Ionenkanäle die Ursachen für eine Vielzahl von Erbkrankheiten darstellen (sog. Kanal-Pathologien),
- ganze Familien von Kanaltypen erst durch die verbesserte Messtechnik nachweisbar wurden.
Das Studium der gestörten Funktion bei Kanal-Pathologien, zusammen mit der Analyse der dabei auftretenden klinischen Manifestationen hat sich als äußerst interessante Möglichkeit erwiesen, die ‚Biologie des Menschen’ voranzutreiben, als Ergänzung zu Tiermodellen von Krankheitsbildern.
Der Vortrag wird über die ersten Messungen berichten, die zur Entdeckung der Ionenkanäle führten als auch Beispiele aus der gegenwärtigen Literatur über die hier genannten Aspekte der Forschung aufzeigen.
Zur Person
Erwin Neher studierte zunächst an der Technischen Universität München Physik, ging für ein Jahr an die University of Wisconsin, um Physik und Biophysik zu studieren, und schloss sein Studium 1967 mit dem Master ab. Nach seiner Promotion an der TU München arbeitete er als Wissenschaftlicher Assistent am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. Im Anschluss wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. Von 1975 bis 1976 arbeitete er als Gastwissenschaftler an der Yale University am Department of Physiology in New Haven in Connecticut. 1989 war er als Fairchild Scholar am California Institute of Technology tätig.
Von April 1983 bis April 2009 war Erwin Neher Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. Neben zahlreichen Ehrungen und Preisen erhielt er 1991 zusammen mit Prof. Bert Sakmann vom Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung in Heidelberg den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie.